Edith Lutz
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Friedenspreis

     

Dankesrede der Preisträgerin

Links: Preisverleihung durch Pfr. Wolfgang Kohlstruck

Rechts: "Hevenu shalom", gesungen hinter der Friedensfahne "Shalom - Salaam", mit Vorjahrespreisträgern und Laudator Clemens Ronnefeld (2. von rechts)

 

Unterwegs nach Gaza - Ein Tagebuch

Erster Teil: Irene

 Ich schreibe dies in meiner schmutzigen Gefängniszelle. Keine Ahnung, was das für ein Gefängnis ist, wo es liegt. Givat wie bitte? Ich habe die Leute, die mich herbrachten, nicht noch einmal gefragt. Lo ichpat li – ist ja auch nicht wichtig. Wichtig ist, dass ich so bald wie möglich aufschreibe, was passiert ist, Bilder. Worte. Eindrücke, bevor sie mir aus dem Gedächtnis schwinden oder ungenau werden.

 Ich sitze auf einem schmutzigen, kaputten Plastikstuhl und starre auf das Gitterfenster in der großen blauen Eisentür. Woher kommt dieser Krach? Schreib weiter, lass Dich nicht stören. Aber ich spüre noch immer das Schaukeln der Wellen und eine seltsame Müdigkeit. Leg Dich aufs Bett, ruh Dich einen Moment aus. Ausruhen und schreiben.

Ich suche nach den Zeilen, die ich in den letzten Stunden an Bord hingekritzelt habe.

Dienstagmorgen. Wir kommen in Gaza-Gewässer. Schlechte Neuigkeit: die Toilette funktioniert nicht mehr. Ich war seit gestern nicht mehr dort. Die Männer machen die Flaggen fest und hissen das Segel. Die Friedenswimpel! Wir müssen uns beeilen, sie kommen. „Sie kommen“ – das sind die letzten Worte im Tagebuch eines deutschen Widerstandskämpfers, bevor sie ihn zur Hinrichtung führten. Ich spüre, wir werden nicht sterben.

Ich fühlte mich ruhig und voll Vertrauen. Etwas aufgeregt schon, die Wimpel mussten schnell hoch.

Itamar schlägt vor, sie in Bündeln zu befestigen. Lillian und ich sind dagegen: Sie müssten einzeln gehisst werden. Glyn, Lillian und ich befestigen sie an den Tauen. Wir haben nicht genug Bindfaden, wie sollen wir die restlichen Fahnen festbinden? Wir suchen in allen Ecken, in unserem Gepäck nach Bindfaden, und wir finden welchen. Jetzt flattern sie alle, alle 42 Wimpel mit 84 Tauben und mehr als 100 Namen von Menschen, die gerne mit uns gefahren wären. Das Bild sieht wunderschön aus. Ein alter, verbrauchter Kahn wie eine bunte Blume im ruhigen blauen Meer. Vish und Eli fahren im Rettungsboot um das Schiff herum und machen Fotos. Alle sind fasziniert.

 9.30 Uhr. Am nördlichen Horizont erscheint ein israelisches Marineschiff. Wir ziehen die Schwimmwesten an und setzen uns auf das Achterdeck, jeder mit seinem Gepäck und einer Flasche Wasser. Die beiden Medienleute postieren sich rechts und links, um die Ereignisse zu dokumentieren, die auf uns zukommen. Ich sitze neben dem Maschinenraum. Glyn erklärt mir, wie ich den Motor abstellen muss, damit ich bereit bin, wenn er mich dazu auffordert.                                                                                                    

10.00 Uhr. Ein zweites Boot in Sicht. Bewegt sich offenbar nicht. Wartet vielleicht auf uns. 

10.30 Uhr. Lillian kommt vom verstopften Klo zurück. Nervosität schlägt auf die Blase. „Geh Du auch Pipi machen!“ Lilian spricht den hessischen Dialekt ihrer Eltern; sie musste Deutschland als Anderthalb-Jährige verlassen. Die Männer haben es leichter. Eine Hand fest in der Hand eines Anderen können sie das Gleichgewicht halten und über Bord pinkeln.

10.45 Uhr. Kriegsschiffe halten auf uns zu. „Acht Schiffe“, ruft jemand. Sie kommen rasch näher. Ich kann ihre Gesichter erkennen. Junge Gesichter, einige hübsch. Ich versuche, sie mir genau anzusehen. Um mich herum wächst die Unruhe. Reuven kommt zu mir herüber, um im Schatten zu sitzen. Die Sonne brennt auf der Seite, an der die Soldaten schnell näher kommen. Dort steht Itamar und redet mit ihnen. Er spricht die vorbereiteten Worte auf Hebräisch und Englisch. Ich höre ihn sagen. „Wir sind Friedensaktivisten.“ Reuven, der jetzt auf dem Dach des Maschinenraumes sitzt, schreit: „Ivrit, ivrit.“ Er versucht, mit den Soldaten zu reden. Er hat seine Gelassenheit verloren.

Ich sehe, dass Lillian unruhig wird, und bitte Yonatan, den Platz mit ihr zu tauschen, sodass sie zu meiner Linken sitzen kann. Wie besprochen, haken wir uns ein. Bei Reuven hake ich mich nicht ein, weil er Mundharmonika spielen will. Ich bin nicht sicher, dass er es schafft. Seine verletzte Seele kann bloß noch schreien. „Keiner hört ihm zu“, sagt Lillian.

Auf Itamar haben sie auch nicht gehört. Die Soldaten handelten wie Roboter. Offenbar waren sie nicht in der Lage, zuzuhören. Shema Israel. Höre Israel.

Yonatan macht Reuven Zeichen, die Mundharmonika zu spielen. Aber mir ist klar, dass Reuven dazu nicht mehr in der Lage ist. Also fange ich an zu singen. „We shall overcome.“ Und Yonatan, Lillian und andere fallen ein. Wir kommen bis zu zweiten Strophe: „Wir haben keine Angst, wir haben keine Angst.“

Es gibt ein wunderschönes hebräisches Lied. „Die ganze Welt, die ganze Welt ist nur eine schmale Brücke, und die Hauptsache ist, ha-ikar, lo l-fached, dass man keine Angst hat.“

Lillian schreit: „Seht, was sie mit dem armen Glyn machen.“

Lillian wollte ihren Augen nicht trauen. „Es ist nur ein Traum, ein böser Traum, es geschieht nicht wirklich“, sagte sie mir später, als wir im Polizeiauto saßen.

Sie stoßen Glyn grob vom Steuerrad auf Deck in die Kabine. Von da, wo ich sitze, kann ich nicht sehen, was mit ihm geschieht.

 Während ich versuchte, Reuven zu beruhigen, beobachtete ich etwas Unglaubliches. Ich sehe Itamar gekrümmt auf dem Deck des nächsten Militärbootes liegen. „In Handschellen“, sollte ich schreiben – aber das Bild vor meinen Augen war „dos kelbl oifn furl“. Itamar war „gebundn mit a shtrik“.

Und ich sah etwas noch Grausameres. Plötzlich höre ich einen durchdringenden Schrei und sehe Yonatan auf dem Boden mir gegenüber sich winden vor Schmerzen. Was geht hier vor?

Das war völlig unbegreiflich. Später, als die Atmosphäre sich beruhigte, fragte ich Rami, und er erklärte mir, Yonatan habe Elektroschocks bekommen. Ich wusste nicht einmal, dass es solche makabren Dinge bei der Armee gibt.

Reuven blickt verstört auf seine Mundharmonikas, die vor ihm auf dem Boden liegen, zwischen schweren Militärstiefeln. Er kann nicht mehr sitzen bleiben, er muss aufstehen. Ich kann ihn nicht zurückhalten. Ich habe Angst, seine Emotionen könnten die Atmosphäre aufladen und Gewalt entfachen. Deshalb wende ich mich an den Soldaten, der neben ihm steht. „Er ist nervös, er ist Überlebender der Schoah.“

Naive, törichte Worte vielleicht. Aber sie schafften es, die Atmosphäre zu verändern. Der hilflos aussehende junge Soldat nickt. Unsere Blicke treffen sich. Ein Hauch von Verständigung außerhalb der Zeit.

Reuven sammelt die verstreuten Mundharmonikas in eine Plastiktüte. Er setzt sich neben Rami und wird bald ruhiger. Rami und ich wechseln erleichterte Blicke. Rami, ein ruhiger Mensch mit einem stabilen Körper, hat eine beruhigende Wirkung auf uns alle. 

Ein anderer Soldat fragt mich: „Möchten Sie nicht lieber drinnen sitzen?“ „Nein“, antworte ich. „Ich muss aufpassen, was hier vorgeht. Ich muss Euch ins Gesicht sehen, damit ich mir sicher bin, dass Ihr menschliche Wesen seid. Ist es nicht verrückt, dass wir uns voreinander fürchten?“ Der Soldat, auch dieser, nickt. (habe ich ein „Ja“ gehört?) Und ich sehe, wie sein starres Gesicht einen entspannteren Ausdruck annimmt.

Ich sehe mich auf dem Boot um und versuche, mir dieses unglaubliche Bild einzuprägen: Acht Militärboote, einige mit Kanonenkugeln, ungefähr sieben bis zehn Soldaten auf jedem Boot. Auf unserem Achterdeck drängen sich außer uns etwa sieben Soldaten (wo nur fünf Passagiere sitzen dürfen). In der Ferne ein mächtiges Kriegsschiff, um neun friedlichen Aktivisten Einhalt zu bieten. Was für ein Wahnsinn! Wenn die Leute in Deutschland, in der EU und in den Vereinigten Staaten nur wüssten, dass sie auch finanziell zu diesem Irrsinn beitragen! (Und zu viel schlimmeren Schandtaten!) Wo sind die wahren Freunde, die Israel – krank vom Holocaust und von Jahrhunderten des Leidens – bei der Hand nehmen, vor einen Spiegel führen und auffordern, die irrsinnig scheußliche, grausame Maske abzunehmen; die ihr helfen, Israel ha-jaffa zu sein? [1]

(Übersetzung aus dem Englischen) [1] ‚Israel du Schöne’ - nach einem bekannten israelischen Tanzlied: „Israel ha-jaffah“

Jüdische Unterzeichner

Adam, Prof. Zach

Adler, Dr. Benjamin

Agnon, Prof. Amotz

Aharoni, Prof. Ada

Amareggi, Daniella

Amitay, Dr. Yossi

Auron, Prof. Yair

Ayalon, Uri

Barak, Prof. Yoram

Bar Ephraim, Rabbi Reuven

Barnavi, Prof. Elie

Bar-Tal, Prof. Daniel

Bartor, Dr. Assnat

Barwasser, Karlheinz Akiba

Bat Rahel, Frieda

Ben-Amos, Prof. Avner

Bendersky, Sally

benedikt, linda

Bentwich, Zvi

Ben-Ze'ev, Dr Efrat

Berger, Gedeon

Berlowitz, Shelley

Bethlehem, Dr. Louise

Bilu, Prof. Yoram

Blanc, Prof. David

Bleiweiss, Celino

Bollag, Guy

Bonstein, Dr. Herbert Samuel

Bornstein, Gabriel

Boyarin, Prof. Daniel

Brook, Dr. Dan

Canin, Noel

Carel, Dr. Cynthia

Carmeli, Tair

Chamberlain Regev, Zohar

Chomsky, Prof. Dr. Noam

Christoph-Wyler, Yvonne

Cohen, Ran

Confino, Prof. Alon

Dahan, Dr. Michael

Dahan, Iris

DeKoven Ezrahi, Prof. Sidra

Dreyfus, Prof. Tommy

Ehrlich, Eva

Elhanan, Rami

Elior, Prof. Rachel

Elsohn, Alex G.

Erenfryd Küffer, Smadar

Ettinger, Anders

Feiler, Pnina

Feldman, Jennie

Fidel, Prof. Raya

Filc, Prof. Dani

Finkelstein, Caroline

Finkelstein, Nathan

Fischer, Heide

Fisch, Prof. Menachem

Frankenstein, Karen

Frankenstein, Ruben

Freund, Dr. Elizabeth

Friedmann, Daniela

Gal-Ed, Dr. Efrat

Gamliel, Dr. Ophira

Gans, Prof. Chaim

Ganzfried, Ilana

Gerling, Prof. Dan

Gerson, Betty

Gissis, Dr. Snait

Godfrey-Goldstein, Angela

Golany, Ofer

Goldberg, Dr. Amos

Goldschmidt, Matti

Goldschmidt, Tamar

Goldstein, Prof. Bluma

Golomb, Prof. Harai

Grosser, Prof. Dr. Alfred

Gruschka, Ruth

Guggenheim-Ami, Batja P.

Guggenheim, Dr. Ralph

Guggenheim, Gilgi

Guggenheim, Hans Chanan

HaCohen, Prof. Ruth

Hammermann, Roni

Harel, Prof. David

Hauri, Eliza

Hefets, Iris

Hefets Martijn, Tally

Hennessy, Roswitha

Hermon, Shelley

Hilkowitz, Andrew

Houser, Dr. Tammy Amiel

Jablonka, Prof. Eva

Jacobson, Prof. Dan

Joseph, Prof. Claude

Kabalek, Dr. Kobi

Kahanoff, Dr. Maya

Kaniuk, Aya

Kappeler, Dr. Sima

Katzenstein-Leiterer, Dr. Kate P.

Kaufmann Crain, Fitzgerald und Soshya

Kaufmann, Dr. Theodor

Kaynar, Prof. Gad

Keller, Adam

Kempin, Johannes

Klein, Prof. Menachem

Korczyn, Prof. Amos D.

Küffer, Smadar Erenfryd

Kuper, Richard

Kupferberg, Maya und Eli

Lerman, Dr. Hemdat

lerner, rabbi michael

Levy, Prof. René

Liel, Dr. Alon

Lindeen, Prof. Ellen

Lindtberg, Susanne

Litvak Hirsch, Dr. Tal

Lubin, Dr. Orly

Margalit, Dr. Meir

Margulies, Prof. Dr. Hune

Mendes-Flohr, Prof. Dr. Paul

Michaelson, Prof. Daniel

Mond, Prof. David

Mugier, Eveline

Mühlmann, Jeanette

Munk, Dr. Yael

Naor, Dr. Dorothy

Naveh, Prof. Eyal

Navon, Judy

Netzer, Dr. Olek

Orth, Prof. Gottfried

Oz-Salzberger, Prof. Dr. Fania

Picard, Prof. Dr. Jaques

Pick, Dr. Nimrod

Polishuk, Daniel

Pollatschek, Hortense

Pozniak, Margalith

Rahav, Dr. Shakhar

Raphael, Zeev

Rappaport, Michel

Raz, Mozzi

Regev, Prof. Oded

Rheinz, Dr. Hanna

Richter, Michael

Ritter, Ruth

Rohrlich, Dr. Daniel

Rokem, Prof. Freddie

Rosenfeld, Georges

Rosenfeld, Prof. Jona M.

Rosengarten, Lillian

Rosenzweig, Ursula

Rudolf, Prof. Mary

Sabar, Prof. Naama

Sagee, Yaniv

Sagy, Prof. Shifra

Sandri, Félix

Schocken, Prof. Hillel

Secker, Glyn

Sfard, Prof. Anna

Shainskaya, Dr. Alla

Shlaim, Prof. Avi

Sigmon, Erica

Simons, Prof. Jon

Sobol, Joshua

Soder, Nelly

Soen, Prof. Dan

Somer, Prof. Eli

Sommerfeld, Lili

Sommerfeld, Nirit

Spiro, Eran

spiro, gideon

Spitzer, Judith

Störzbach, Marianne

Trilse-Finkelstein, Prof. Dr. Jochanan

Tzfati, Prof. Dudy

Ury, Tanya

Waechter, Berenice

Walter, Prof. Dr. Joachim

Warshawsky, Rivka

Weil-Goldstein, Jochi

Wengrower, Dr. Hilda

Werner-Arnold, Ursula

Wiener-Barraud, Dr. Samuel

Winter, Ada

Winter, Dr. Peter

Yishai, Prof. Yael

Ziegele, Uri

Zilversmidt, Beate

Zimmermann, Prof. Moshe

Zuckermann, Prof. Moshe

Zweig, Lawrence

Gaza via Rafah

Auf dem Landweg nach Gaza einzureisen ist mühsam, zeitweise unmöglich. Die folgenden Zeilen berichten von meinen misslungenen Versuchen und einem geglückten mit der italienischen Gruppe "Vik2gaza".

Erster Versuch: März 2009 mit dem englischen Konvoi "Viva Palästina". Der motorisierte Konvoi bricht Ende Februar von London auf und erreicht auf dem Weg entlang der afrikanischen Küste den Grenzort Rafah am 9. März. Mit Yvonne Ridley, Journalistin und Co-Organisatorin, mir bekannt durch die Freegaza-Überfahrt auf der Liberty, vereinbare ich, dass ich mich in Kairo anschließe. Der Konvoi hat einige Tage Verspätung, die ich in Al-Arish verbringe. Der Jubel ist riesig, als die lange Auto- und LKW-Schlange endlich eintrifft. Die Gaza-Freunde scheinen große Teile der Bevölkerung im Nordsinai hinter sich zu haben. Dem englischen Abgeordneten und Teilnehmenden an der langen Reise, George Galloway, gelingt es, die Einreisegenehmigung für einen großen Teil des Konvois zu erhalten, d.h., für diejenigen mit britischem Pass. Ich gehöre nicht dazu.

Zweiter Versuch: im darauffolgenden Mai.

Ein Bericht zu dieser Reise findet sich auf der Website von Frieden in Israel und Palästina e.V.

Dritter Versuch: Dezember 2009 mit dem Gazafreedommarch

Zum Jahrestag israelischer Angriffe auf den Gazastreifen ("Operation Cast Lead") war ein Demonstrationsmarsch in Gaza, ein "Gaza-Freiheitsmarsch" mit Tausenden internationaler Menschenrechtsaktivisten geplant. Hauptverantwortlich war nach Rückzug des Ideenträgers Norman Finkelstein die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation Code Pink - Women For Peace. Ich übernahm die Koordinierung für die deutsche Gruppe in der Vorbereitungszeit. Noch vor der Abreise war die Verweigerung der Einreiseerlaubnis durch die ägyptischen Behörden bekannt gegeben worden. Daher wurden diverse Demonstrationsveranstaltungen in Kairo durchgeführt. Am 31.12. fand ein symbolischer "Gazafreedommarch" der Teilnehmer auf dem Tahrir-Platz statt, der trotz des rigiden ägyptischen Demonstrationsverbots - dank der Erfindung von "flashmob"-  gelang. Das ZDF berichtete und die taz veröffentlichte am 28.9. einen Bericht von Ivesa Lübben: "Beendet die Blockade von Gaza".

Vierter Versuch: Anfang 2011. Über die ägyptische Botschaft Berlin versuchen wir eine Importgenehmigung für die Sachspenden aus der Aktion "Jüdisches Boot" zu bekommen. Zunächst sieht es so aus, als würde unserem Gesuch stattgegeben. Ich werde zur ägyptischen Botschaft nach Berlin eingeladen, um Näheres zu besprechen. Die Spenden stehen alle für den Container nach Ägypten auf dem Seeweg bereit - aber die schriftliche Genehmigung bleibt aus. (Der größte Teil der Spenden erreicht später auf dem Postweg oder über Angehörige von Hilfsorganisationen Gaza)

Fünfter Versuch: Mai 2011. Den italienischen Freunden des in Gaza ermordeten  Aktivisten Vittorio Ariigoni  gelingt es, bei den ägyptischen Behörden eine Einreisegenehmigung für eine Memorial-Reise zu erhalten. Ich schließe mich der Gruppe an. Vittorio schaffte es immer wieder, trotz der Blockade, nach Gaza einzureisen. Er blieb während der israelischen Offensive "Gegossenes Blei" in Gaza und berichtete. Seine Erfahrungen hat er in dem Buch Gaza, Mensch Bleiben veröffentlicht (Verlag: Zambon). Die Deutsche Welle berichtete.

In den letzten Monaten vor seiner Ermordung hat Vittorio vergeblich versucht, mir bei einer Einreise nach Gaza behilflich zu sein - sein Tod hat es mir ermöglicht. Mit dabei habe ich etliche Spenden, vor allem Musikinstrumente aus der Sammlung des "Das Jüdische Boot" - ja, und das Boot selber gelangt hinein, in Form einer Foto-Collage:

       

In der Collage flattert die Hälfte der Friedensfahnen gegen den Wind - sie waren beidseitig mit den Namen der symbolisch Mitsegelnden versehen. Alle sollten sichtbar sein (s. Tagebuch "Unterwegs nach Gaza"). Drei Bildcollagen wurden mit nach Gaza genommen.

 

Stimmen aus Gaza zum "Jüdischen Boot"

- Dr. Eyad Al-Sarraj, GCMHP: Ich glaube, dass die symbolische Ankunft des Bootes der JfJfP und von Juden, die für Frieden arbeiten, ein wichtiger Schritt ist (...) Ich hoffe, dass eine tatsächliche Ankunft von Juden folgt, die sich für Frieden und Gerechtigkeit für Palästinenser einsetzen.

- Nizar Ayash, Fischer-Gewerkschaft: "Wir danken euch sehr für die Absicht nach Gaza zu seglen. Wir wünschen uns sehr und hoffen, dass das nächste Jüdische Boot es schaffen wird, in Gaza anzukommen.

 Emad Naserallah, Gaza music school: Wenn man unter solch harten Bedingungen lebt, dann gibt es Momente der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Aber wenn ihr kommt, dann wissen wir, dass wir nicht alleine sind und wir fühlen uns stärker.

 

    
                                                                

 

 Bild links: mit italienischer Gruppe "Vik2Gaza" vor Rafah. Im Kinderwagen eine Oud (arabische Laute).Rechts: Das Boot Oliva von CPS, Civil Peace Service,Gaza. Das Boot soll fortan mit Freiwilligen der International Solidarity Movement (ISM) Gaza-Fischer begleiten und israelische Menschenrechtsverletzungen dokumentieren, bzw. zu verhindern versuchen.       

 

Peter Voß, ebenfalls Teilnehmer an dieser Aktion verfasste einen ausführlichen Bericht mit sehenswertem Bild- und Kartenmaterial auf seiner Seite Palästina - Israel.

Gräber. Kever Rachel, 2006

How many miles to Bethlehem?
- Three scores and ten.
Can I get there by candlelight?
- Yes, and back again.
Meine Schüler lieben dieses Weihnachtslied. Sie singen es in verteilten Rollen.
 
Wie weit ist es bis Bethlehem? Wie kann ich dort hin kommen?
     -  Früher, da konnte man ...
     - Hm, früher, da ging man ...
     - Ja früher, da nahm man ...
Am Informationsschalter ist nur noch einer vor mir. Früher liegt nur ein paar Jahre zurück. Früher war Bethlehem in einer schönen Wanderung zu erreichen, oder man nahm den Bus nach Bethlehem.
     - Das geht heute nicht mehr. Sie nehmen den Bus 163 bis Kever Rachel, passieren den Checkpoint und nehmen dann ein Taxi nach Bethlehem.
 
Das Taxi werde ich nicht nehmen, sondern ein bisschen wandern. Kever Rachel. Rachels Grab, ein Pflichtprogramm. Linie 163, Ausgang 1. Sechs oder sieben ältere Frauen warten vor mir. Das Einsteigen über die hohen Stufen des Busses macht ihnen Schwierigkeiten. Sie machen nicht den Eindruck, als würden sie - wie Tradition - an Rachels Grab um Kindersege bitten. Aber leidend sehen sie aus, vielleicht klagen sie der Stammesmutter ihr Leid.
An jeder Haltestelle die gleiche Frage an den Busfahrer:
Kever Rachel?
     - Kever Rachel.
Eine Frau steigt zu, manchmal zwei oder drei. Sie sehen ähnlich aus. Jiddische Frauen, mit Kopftuch, oder mit gehäkeltem Netz. Bis in den Nacken hält das Netzt die Haare koscher gebunden. Und auf dem Schoß ein kleines Gebetbuch. In dem faltigen Gesicht bewegt sich der Mund unhörbar.
Was mögen die Frauen von mir denken, eine Ungläubige? Eine Touristin? Gar nichts denken sie. Sie beachten mich nicht, ich bin gar nicht da. Ich existiere auch nicht für den schwarzen starken Mann, der sich hinter den Fahrer setzt. Mit schwarzem Hut, ein Orthodoxer. Er beugt sich nach vorne, redet mit dem Fahrer, redet, redet, viel zu laut. Sie sind im Taxi, nur wir Frauen sitzen im Bus, fahren zu Kever Rachel. Er steigt vorher aus.
Wir nähern uns der Mauer. Ganz dicht fährt der Bus an das graue Monstrum heran. Eine Mauer? Eine Mauer links, eine Mauer rechts, sind wir zwischen den Mauern? Der Bus fährt langsam eine Straße zwischen den grauen, hohen Ungetümen entlang.
   - Kever Rachel!!
Der Busfahrer öffnet die Türen. Die Frauen erheben sich, verlassen so langsam wie ihre Gelenke empfehlen den Bus. Ich folge ihnen, sie werden den Eingang kennen. Nur ein paar Schritte. Hinter dem Eingang ein langer Gang. Im Innern der großen Mauer? Am Ende des Gange, der Raum für die Männer. Was beten die Männer hier? Und der Raum für die Frauen. Einige aus dem Bus haben schon angefangen zu beten. Ihr ganzer Körper beweg sich, mit dem aufgeschlagenen Gebetbuch in den Händen. Wie an der Klagemauer. Klageweiber. Am Grab.
Es hält mich nichts hier, am Grab. Raus, raus an die Sonne. Nach draußen, zur Auferstehung. Vor dem Eingang zur Grabstätte hält mich ein Soldat mit Maschinenpistole auf. Ein olivgrün gescheckter Engel.
   - Sie dürfen nicht raus. Erst wenn der Bus kommt.
Ich sehe ihn stirnrunzelnd an.
   - Aus Sicherheitsgründen.
     Aber mir wird übel da drin. Ich brauche frische Luft.
   - Tut mir leid, nicht gestattet.
Ein Ziviler wendet sich zu mir, gehört er mit hierher?
   - Sie wissen, Terroristen.
Wollen sie mich vor Terroristen beschützen, oder bin ich die Terroristin? Ich öffne meinen Rucksack, zeige meine Habseligkeiten, look here, und setze mich auf den Zementboden. Sonne!
Sonne über Zement. Asphalt und Stacheldraht.
Die beiden werfen sich Sätze zu. Verboten, höre ich den Olivgrünen, die lange Knarre an der Seite. Sein Arm greift nach einem Stuhl hinter dem Tisch, dem fromen Tisch mit den Gebetbüchern, ... Andenken? Er kommt zu mir mit dem Stuhl. Danke.
     Was ist denn mit den Terroristen, was war denn?
   - Vor drei Wochen. Sie wissen, Hamas. Leute von Hamas kamen hier hin.
Zu Besuch bei Rachel! Rachel weint um ihre Kinder. Warum weint Rachel? Weil ihre Kinder Soldaten sind? Oder Terroristen? Weil sie sich um ihr Grab streiten? Weil sie von ihnen eingebunkert wurde? Weil so wenige sie besuchen auf dem Weg nach Bethlehem? Eine laute Stimme:
   - Der Bus ist da!
Die Tür zum Grab öffnet sich, ich erhebe mich, sie strömen hinaus. Stimmen, Bewegung, Rufen, Schlurfen, die Türautomatik: tsch.
Ich lasse die alten Frauen vor mir einsteigen.
Rachel weint um ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen über ihre Kinder; denn es ist aus mit ihnen.
  
 
 
  1. "Promise to tell what you have seen"
  2. "Du mein Gott"
  3. Aufsätze, Gespräche
  4. Auge um Auge, "dann ist bald die ganze Welt blind"

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