Ich bin in einer Familie aus der Gemeinde zu Gast, einer Mischlingsfamilie typisch für Sarajevo: jüdisch-muslimisch-katholisch. Die meisten Gemeindemitglieder leben in einer Mischehe. Viele Häuser in Sarajevo sind durch Granateneinschlag beschädigt, viele Fenster haben statt der Scheiben Kunststoffplanen. Die Fenster in der Wohnung meiner Gastfamilie sind heil geblieben. Aber etwas erinnert auch hier an den Krieg und wird mich fortan jeden Winter wieder erinnern lassen: der kleine alte Ofen, der jetzt auf dem Balkon steht. Milena erzählt in Zeichensprache, womit der Ofen letzten Winter gefüttert wurde: sie zeigt auf Bücher und ein paar alte Schuhe - Holz gibt es in der belagerten Stadt nicht mehr.

Während meiner Anwesenheit veranstaltete die Jüdische Gemeinde zusammen mit den Vertretern weiterer Religionsgemeinschaften in Sarajevo einen Friedensgottesdienst. Jede Gemeinschaft hatte sprachliche oder musikalische Beiträge vorbereitet. Der buddhistische Beitrag bestand aus einem einzigen Klang, der noch lange nachhallte.

Es war unnötig gewesen, einen gefüllten Spendenkoffer in der Jüdischen Gemeinde zu lassen, er wurde andernorts dringender gebraucht. Mit dem zweiten Koffer machte ich mich auf in den serbischen Teil Bosniens. Eine Verkehrsverbindung gab es noch nicht. Privatfahrer boten sich als Taxifahrer an.

Auf dem Weg Bilder der Zerstörung, Gefühle von Angst,  Hass und Enttäuschung. Viele von der Nato zerstörte Brücken über die Drina. Ich biete dem Fahrer neben guter Bezahlung einen Teil meiner Spenden an, damit er mich sicher nach Foҫa und zurück bringt. Für ein Krankenhaus habe ich Bettwäsche, Medikamente und weitere Geschenke im Gepäck. Die Kommunikation mit meinen Gesprächspartnern, einem Arzt und einer Ärztin, erweist sich als schwierig, obwohl wir Englisch sprechen. Die Barrieren scheinen in Angst und Vorurteil zu liegen - westliche Medien hatten die Serben einseitig als Gräueltäter dargestellt. Es sieht zunächst so aus, als wäre mein Besuch, die Geschenke, unerwünscht. Stolz? Es wird nur wenig gesprochen, der Koffer kaum beachtet. „Soll ich die Sachen wieder mitnehmen?“ Meine Frage ist eigentlich eine andere: „Wie erreichen wir uns?“ Jetzt bricht die Mauer, bricht es aus, zunächst die Tränen, dann die Worte. „Wir haben nichts, nichts“. Dann wird ausgepackt. Und „This is like Christmas“.