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(erschienen in Jüdische Zeitung, Feb. 2014)
Die Frage ist ernst. Zumindest für eine Reihe rabbinischer Autoritäten, die streng an der traditionellen Meinung festhalten, „Jude ist, wer eine jüdische Mutter hat“. Für die Rabbinen der frühen Jahrhunderte unserer Zeitrechnung, auf die sich diese Ansicht stützt, war die Feststellung, wer die jüdische Mutter ist, kein großes Problem gewesen. Es wird sogar hier und da die Ansicht vertreten, die Rabbinen hätten mit der Einführung der Matrilinearität - nach der die Religionszugehörigkeit des Kindes sich nach der Mutter richtet - sich von der Ansicht leiten lassen: die Vaterschaft ist nicht immer bekannt; wer die Mutter ist, das wissen wir. In einem Zeitalter, das die Praxis der Leihmütter kennt, gerät diese Eindeutigkeit allerdings ins Wanken. Es stellt sich nämlich die Frage, wer denn die Mutter ist, die jüdisch zu sein hat, damit der Sprössling sich jüdisch nennen darf. Wo liegen die Komponenten jüdischer Charakteristika, im Ei der Leihmutter oder im Uterus der Empfängerin? Und wenn dann noch die jüdische Empfängerin, die aber nicht die biologische Mutter ist, das Kind zur Erziehung ihrer christlich getauften Freundin …
Für die Lösung von Problemen ist es oft hilfreich, sich den Kontext des ursprünglichen Geschehens bzw. der Meinungsbildung anzusehen, zu dem später entstandene Probleme und Kontroversen in Beziehung stehen. Im Kontext der talmudischen Auseinandersetzung (Traktat Qiddushin) geht es nicht primär um eine Definition des Begriffs „Jude“, sondern um die Rechtsgültigkeit von Eheschließungen. Da heißt es: „Wir wissen nun, dass die Trauung mit ihr nichtig ist [eines Hohenpriesters mit einer Sklavin], woher, dass das Kind ihr gleiche?“ Der Fragesteller fragt hier nach dem Status eines Kindes aus einer nichtgültigen Ehe und er erhält mit Bezug auf Exodus 21,4 zur Antwort: „Das Weib und ihre Kinder bleiben ihrem Herrn.“ - „Und was ist mit einer Nichtjüdin?“ wird weiter gefragt. Auch hier wird mit einem Bibelzitat geantwortet, das nach Buber lautet (Deut. 7,3) : „Verschwägere dich nicht mit ihnen [den fremden Stämmen], deine Tochter gib nicht seinem Sohn, seine Tochter nimm nicht für deinen Sohn, denn: er wird deinen Sohn von dem Mir-Gewärtigsein abwenden, dass sie anderweitigen Göttern dienen.“ Rabbi Jochanan fügt dem Zitat „im Namen von Rabbi Schimon bar Jochai“ hinzu: „dein Sohn von einer Israelitin heißt dein Sohn, dein Sohn von einer Nichtjüdin heißt nicht dein Sohn, sondern ihr Sohn.“
Die Fortführung der Konversation verdeutlicht noch viel mehr, wie weit entfernt das damalige Welt- und Wirklichkeitsverständnis des rabbinischen Judentums vom heutigen gelegen ist:
- „Es wäre anzunehmen (...), wenn ein Nichtjude oder ein Sklave eine Jisraelitin beschlafen hat, das Kind ein Bastard sei.“
- „Zugegeben, dass er nicht unbemakelt ist, aber auch ein Bastard ist er nicht; er heißt nur Bemakelter.“
Zeitgenössischen Juden, die eine Mischehe eingegangen sind, käme es wohl kaum in den Sinn, ihre Kinder als Bastarde oder Bemakelte zu bezeichnen. Für Heinrich Olmert (Wer ist Jude) ist es offensichtlich, „dass die Anforderungen der Halacha für den Juden des 21. Jahrhunderts nur noch für wenige Juden erfüllbar bzw. nur noch von wenigen als wünschenswert angesehen werden“. Juden, die regelmäßig gegen halachisches Recht verstoßen, halten aber an der Behauptung „Jude ist, wer eine jüdische Mutter hat oder durch den vorgeschriebenen Ritus zum Judentum konvertiert“, fest.
Woher kommt diese Inkonsequenz? Rührt sie vielleicht aus dem Wunsch des individuellen oder gruppenspezifischen Egos, mit der Definition – der Begrenzung – andere auszuschließen? Aus psychologischer Sicht, nicht zuletzt auf dem Hintergrund jahrhundertelanger Leidenserfahrungen, wäre dies vielleicht eine verständliche Motivation, aber auch eine gefährliche. Indem sie möglicherweise den Neid der von der „Auserwähltheit“ Ausgeschlossenen erzeugt, fördert sie Antisemitismus.
Oder fehlt der Mut zu Erneuerung? “Das Bedauerliche heutzutage ist”, schreibt Arthur Hertzberg (Wer ist Jude), “daß den modernen 'Halachisten', die sich für die Nachfolger jener bedeutenden Männer halten, der moralische Mut fehlt, sich über das Prinzip eines dogmatischen Festhaltens an rabbinischen Präzedenzfällen hinwegzusetzen.” Dabei waren die Rabbinen, die das Leben der Juden für Jahrhunderte durch die Halacha regeln sollten, aus dem Kontext der damaligen Zeit her betrachtet, sehr mutig mit ihren Erneuerungen, die häufig nicht die sofortige Zustimmung ihrer Zeitgenossen fanden. Das ist auch so für den Wandel zur Matrilinearität bezeugt. Die frühen Rabbiner, die das mündlich überlieferte Gesetz auslegten, waren keine orthodoxen Hardliner, findet Hertzberg: „sie waren religiöse Revolutionäre, die sich gegen die orthodoxen Führer ihrer Zeit wandten“. Sie waren – beispielsweise mit der Einführung des Ehevertrags - auch Revolutionäre, was die Rechte der Frauen anbelangt. Vielleicht hat diese Neigung auch eine Rolle beim Wandel von der bis dahin üblichen patrilinearen Linie zur Matrilinearität gespielt.
Was könnten die Beweggründe für diesen Wandel gewesen sein? Diese Frage wird nicht erst in den letzten Jahrzehnten, in denen die Diskussion um die „jüdische Identität“ mit zunehmender Heftigkeit geführt wird, gestellt. Die Frage ist schon in dem oben zitierten Gespräch der Amoräer – der Gelehrten, die in den nachfolgenden Jahrhunderten das Gesetzeswerk ihrer Vorgänger diskutierten und ihre Kommentare mit diesem zusammen als Talmud edierten – enthalten. Ihre Diskussion ist der Versuch, die Rechtsprechung ihrer Vorgänger zu verstehen. Dazu suchten sie nach biblischen Vorgaben. In dem Nachweis, den sie glaubten gefunden zu haben, geht es jedoch, wie im oben zitierten Text nachzulesen, lediglich um die Warnung einer Verschwägerung mit nicht-israelitischen Stämmen. Wo die wahren Gründe liegen, die die frühen Rabbiner (Tannaiten) zu einer Änderung der bis dato verfolgten patrilinearen Linie bewogen haben, bleibt der Spekulation vorbehalten.
Unter den möglichen Gründen wird sehr häufig die Nähe zur römischen Rechtsprechung genannt. Jüdisches Eherecht (Qiddushin) weist mit dem Eherecht der Belagerer und Herren des Landes, dem römischen Connubium, große Ähnlichkeiten auf. Aber was die Rabbinen bewogen haben mag, in die Nähe des römischen Rechts zu rücken, darüber herrscht Uneinigkeit. Mit dem Fundmaterial der letzten Jahre lässt sich leicht eine demografische Begündung angesichts der hohen männlichen Verluste als Folge der kriegerischen Auseinandersetzungen annehmen. Demografie als alleiniger Faktor wird aber vielleicht den sozialen Beweggründen nicht ganz gerecht. Ob auch die Massenvergewaltigungen der Mädchen während der kriegerischen Besatzungszeit mit zu den Beweggründen gehören, bleibt eine Frage, die von den Fachkundigen eher verneint wird. Aber wie der Kenner des rabbinischen Judentums Shaye Cohen vermerkt, müssen wir „bei einer Frage, die so komplex und konfus ist wie das rabbinische matrilineare Prinzip, auch die Möglichkeit einer Vielzahl von Motiven einräumen.“
Die rabbinische Epoche ist eine von vielen in der vieltausendjährigen Entwicklungsgeschichte des Judentums. Sie sollte nicht die einzige sein für die Stützung einer traditionellen Basis in der Frage des Fortbestehens des Judentums und anstehender neuer Fragen. Dabei ist mit Yehoshua Leibowitz auch zu bedenken, dass die Halacha für ein Volk festgesetzt wurde, das heute nicht mehr existiert. „Das ist das meta-halachische Problem, das zu begreifen die meisten Juden noch nicht einmal angefangen haben“. Aber wie aus der „Ohnmacht und Hilflosigkeit eines religiösen Judentums“ herauskommen, fährt er fragend fort, eines „Judentums, das die Tatsache ignoriert, das eben jenes jüdischeVolk – für das es Gesetze und Verordnungen festlegen will - nicht das jüdische Volk ist, von dem die Halacha spricht“? (Gespräche über Gott und die Welt)
Wenn wir eine Definition haben wollen, wer Jude ist,“ sagt Salomon Zeitlin (Who is a Jew), „müssen wir die Geschichte von den frühen Tagen an ohne Vorurteil oder Vorliebe betrachten.“ Gehen wir zwei Epochen zurück, finden wir den Begriff „Jude“ nicht. Bis zum Ende des zweiten Jahrhunderts v.u.Z. gab es keine „Juden“, man kannte nur „Judaios“, 'Judäer', und bezeichnete damit die ethnische Zugehörigkeit zum Land Judäa. Die hellenistische Epoche führte zwei neue Definitionen für den Begriff „Judäer“ ein und gab damit Nichtjuden die Möglichkeit, sich dem judäischen Volk anzuschließen. Die erste Definition war politischer Natur, wobei die Kultur des Herkunftslandes beibehalten werden konnte. Die zweite war religiöser Natur: ein Nichtjude konnte ein Judäer werden, indem er sich der Verehrung des einzigen Gottes anschloss. Das zweite Makkabäerbuch legt Zeugnis von diesem Wandel ab. In der gleichen Epoche – hervorgerufen durch die Verfolgungen der neuen Herrscher - nahm aber auch die Betonung identitätsstiftender Kulte und der Wunsch nach Absonderung von der feindlichen Umwelt stärker zu.
In der biblischen Epoche der beiden Königreiche war die Religionsauffassung der Herrschenden uneingeschränkt ethnisch bestimmt, sowohl im strenger monotheistischen Juda als auch in dem mehreren Göttern huldigenden Israel. Man betrachtete sich und die Zugehörigen als die Nachkommen der Erzväter und der befreiten Volksgruppe aus der Knechtschaft Ägyptens; Proselytentum war de facto ausgeschlossen. Gegen diese partikularistische Ansicht erhoben sich die Propheten, die in der Botschaft des Judentums eine universalistische sahen. Sie schöpften aus jenem mythischen Bereich, der in der Erzählung der Erzvätergeschichte noch erkennbar ist. Thomas Mann nennt ihn im Vorwort seiner Tetralogie Josef und seine Brüder den „Brunnen der Vergangenheit“. Der universale Mythos der Begegnung des „Urvaters“ mit dem göttlichen DU, zu dem die Propheten immer wieder zurückzuführen versuchten, ist erhalten geblieben, auch wenn die israelitisch-jüdische Geschichte sie in einen nationalen Mythos einband. Archäologie und moderne Bibelkritik, die die Entstehung der Erzväter-Erzählungen als nationalen Mythos im siebten Jahrhundert vermuten, haben längst deren Historizität in Frage gestellt (s. Finkelstein/Silberman, Keine Posaunen vor Jericho). Unlängst wird in den neuen Erkenntnissen aber auch eine Gefahr gesehen: man befürchtet eine Schwächung der Legitimierung Israels. „Biblische Archäologie ist unbequem“, folgert Michael Heymel (ImDialog), „weil sie entmythologisiert: sie zerstört den Gründungsmythos des Staates Israel.“
Wer ist nun jüdisch, die Henne oder das Ei? Übertragen auf die Humanbiologie kann die Frage nur für den Verfechter eines ethnisch-völkischen Judentums von Belang sein. Für die universalistische Strömung im Judentum ist jüdisch der Mensch, der, den „Erzvätern“ gleich, in der Antwort Gottes steht, der wie Jakob mit dem Beinamen „Israel“ mit Ihm gerungen hat; selbstverständlich auch derjenige, der durch Generationenfolge, ob mütterlicher- oder väterlicherseits, bewusst oder unbewusst, die mythische Erinnerung weitergibt. Auch heute und vielleicht stärker denn je sind diese beiden Strömungen im Judentum erkennbar: die eine, partikularistisch, pocht, nicht selten mit Stolz, auf die Bewahrung jüdischer Identität zugunsten eines jüdischen Volkstums; die andere unterstützt, häufig mit Verweis auf Demut, den universalen Charakter. Zu den letztgenannten gehören Religionsphilosophen wie Martin Buber, der sich für eine Erneuerung jüdischer Religiösität ausspricht (Jüdische Zeitung, Februar 2013) sowie Abraham J. Heschel. Beide betonen den universellen Charakter der Bibel. Die Bibel hat nicht die Absicht, eine Geschichtsdarstellung zu geben, erklärt Heschel (Gott sucht den Menschen), „sie will vielmehr von der Begegnung Gottes mit dem Menschen auf der Ebene des konkreten Lebens berichten.“
Wege zu finden für eine zeitgemäße Halacha heißt auch zur Quelle aller Wege zurückzufinden, um aus ihr die Richtung neuer Wege zu vernehmen. Im Sinne der Propheten bedeutet dies: Hören; im Sinne moderner Religionsphilosophie: Gegenwärtigsein. In der Nachfolge der Propheten stehen auch jene Autoren, die vom universellen Charakter der Begegnung des Menschen mit dem göttlichen Geist berichten. So wie Martin Buber diesen Geist „zwischen Ich und Du“ erkennt, so lässt auch I.B. Singer seinen Erzähler von seinem Protagonisten (The Slave) sagen: „Aber jetzt hatte er endlich seine Religion verstanden: seine Essenz war die Beziehung zwischen dem Menschen und seinen Mitmenschen“.
- Der Jüdische Nationalfonds gerät zunehmend in die Kritik -
(erschienen in Jüdische Zeitung, Feb 2013)
Say Goodbye - diese Aufforderung zur Abkehr vom Jüdischen Nationalfonds (JNF oder nach der hebräischen Bezeichnung Keren Kajemet LeJisrael KKL) stammt nicht von der pro-palästinensischen Initiative „Stop the JNF“. Sie stammt auch nicht von „linken“ israelischen Friedensgruppen, wo man sie durchaus vermuten könnte. Uri Avnery, Gründungsmitglied von Gush Shalom und ehemaliger Knessetabgeordneter, forderte vor 15 Jahren öffentlich, den JNF abzuschaffen und er wiederholt 2013: „Der Jüdische Nationalfonds gehört boykottiert“. Nein, der Aufruf ist der Titel eines Artikels der eher konservativen israelischen Tageszeitung Jerusalem Post. Sein Verfasser, Militärberichterstatter Eric Schechter, liefert die Begründung auch gleich im Untertitel: „Weil der Staat Israel sich nicht an Diskriminierung beteiligen darf“ (8.5.2007). Die langjährige diskriminierende Politik des JNF hatte in Israel zu heftigen, 2007 vor Gericht ausgetragenen Kontroversen geführt, die auch in der deutschen Presse verfolgbar waren (Jüdische Allgemeine 2.8.2007).
Der Jüdische Nationalfonds zeigte damals wie heute wenig Verständnis für die Vorwürfe der Diskriminierung.i Die Kritik wurde daher lauter, nicht nur in Israel. Die Folgen zeigten sich für den JNF auch in finanziellen Einbußen. Der Jewish Telegraph in Großbritannien berichtete im vergangenen Jahre von einem dramatischen Spendenrückgang für den JNF-UK. Allein im Jahr 2011 seien die Einnahmen um 50% zurückgegangen (11.10.12).
In Großbritannien ist die Kritik am Jüdischen Nationalfonds mittlerweile so stark angestiegen, dass Bestrebungen zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit – wie sie auch in anderen Ländern zu beobachten sind – von Politikern mitgetragen werden. Die Partei der britischen Grünen schloss sich dieser Forderung im März vergangenen Jahres an. Deren Abgeordneter Terry Gallogly sieht den eingeschlagenen Weg als „eine Botschaft an den JNF, dass seine Tage gezählt sind. Der Status der Gemeinnützigkeit wird für Landraub und Rassismus gegenüber Palästinensern missbraucht, das werden wir in Großbritannien nicht dulden“, so Gallogly laut Jewish Chronicle. (1.3.12)
Außer der Gemeinnützigkeit wird auch die Rechtmäßigkeit der Bezeichnung des Jüdischen Nationalfonds als einer NGO (Nichtregierungsorganisation) von seinen Kritikern in Frage gestellt. Durch die enge Zusammenarbeit des JNF mit staatlichen Einrichtungen ist der Eindruck einer halbstaatlichen Organisation entstanden. 1961 hatten sich der Staat Israel und der Nationalfonds vertraglich darauf geeinigt, die Verwaltung des sogenannten “Israel-Land” (Land in Staatsbesitz und Land im Besitz des JNF) der neugegründeten staatlichen “Israel-Land-Administration” (ILA) zu überlassen. Die Regierung verpflichtete sich, vor der Ernennung des Direktors der Land-Administration den JNF, der nahezu 50 % des ILA-Vorstandsgremiums besetzt, zu konsultieren. Laut Vertrag wird der Staat dem JNF “die Hände stärken bei der Erfüllung seiner Mission, das Land aus seinem desolaten Zustand [desolation] zu befreien”. Woher die Trostlosigkeit stammt, deutet der oben genannte Militär-Berichterstatter den Lesern der Jerusalem Post an: “1948 verkaufte der Staat dem Nationalfonds über eine Million Dunam (ca. 250.000 Morgen), das von arabischen Dörfern stammte. Der Verkauf war illegal, denn der Staat war nicht der Besitzer des Landes, das er abstieß . Aber aus dem JNF hat sich niemand beschwert.”
Vielen jüdischen Bürgern in und außerhalb Israels ist die Kritik am Jüdischen Nationalfonds angesichts der erholsamen Park- und Waldanlagen, die allen Bewohnern Israels und Touristen aus aller Welt zugänglich sind, sowie angesichts der Klimaverbesserungen, die sie bewirken, vollkommen unverständlich. Aber auch diejenigen, die den weniger schönen Seiten des JNF begegnet sind, tun sich mitunter schwer mit einer Kritik. Vielen Älteren, die mit der legendären blauen Sammelbüchse des JNF/KKL aufgewachsen sind, geht es so wie Sylvia Rothschild, Rabbinerin an der Wimbledon & District Synagogue in London: “Ich liebte diese Büchse, denn sie symbolisierte, dass alle Juden Teil des Landes Israel waren”. Aber ihre Gefühle haben sich geändert, berichtet sie dem Jewish Chronicle: “Der JNF nennt sich zwar Israels führende humanitäre und umweltschützende Wohlfahrtsorganisation, aber bei der Erschließung des Negev ignoriert er die Gemeinschaft der Beduinen und nimmt ihnen das Land weg, das ihren Vorfahren gehörte”. Mögen die Besitzverhältnisse durch die Uneinheitlichkeit von beduinischem, ottomanischen, britischem Mandats- sowie israelischem Recht noch so kompliziert sein, die ethische Variante habe immer Vorrang (24.4.12).
Ähnlich wie der Rabbinerin aus London geht es auch einigen jüdischen Bürgern in der Schweiz, die sich zu einer “Ad-hoc-Arbeitsgruppe al Arakib” zusammengeschlossen haben. Die Gruppe leistet moralische Unterstützung für das Beduinendorf Al-Arakib, das in der jüngsten Vergangenheit vierzig Mal durch Planierraupen des Jüdischen Nationalfonds zerstört wurde. Auch sie sind als Kinder begeistert mit “der blau-weißen Büchse Spenden für den Keren Kayemet Leisrael (KKL) bei den jüdischen Familien sammeln gegangen”, teilen sie der jüdischen Zeitschrift Tachles mit (16.11.12). Der Gruppe liegt “die Entwicklung Israels am Herzen – aber nicht auf Kosten der nichtjüdischen Bevölkerung.”
Angesichts der wiederholten brutalen Zerstörungen durch den JNF wandten sich über 60 israelische Intellektuelle mit einer “Gewissenserklärung” an den Staat und den Jüdischen Nationalfonds. Darunter befanden sich die Schriftsteller Amoz Oz, Abraham B. Yehoshua, David Grossman, Yehoshua Sobol, der Rabbiner Arik Ascherman und viele andere bekannte Namen. Sie appellieren an die Adressaten, die bisherige Politik [zur Entwicklung des Negev] „zu stoppen und zu überdenken und eine gemeinsame Lösung mit den Beduinen des Negev zu suchen“ (Anzeige in der Zeitschrift Haaretz 13.9.10) . Einen Monat später wandten sich über dreißig Organisationen in Israel, darunter die „Ärzte für Menschenrechte“, „Rabbiner für Menschenrechte“, „Amnesty Israel“, mit einem Offenen Brief an die Führung des Jüdischen Nationalfonds mit dem Aufruf, „Beendet die Enteignung der Beduinen“.ii
Wie das Dorf Al-Arakib sind auch die umliegenden Dörfer im nördlichen Negev in der Umgebung von Beersheva von Zerstörung und Zwangsumsiedlung bedroht. Der sogenannte Prawer-Plan, dem der israelische Ministerrat im September 2011 zustimmte, sieht die Zwangsumsiedlung von ca. 30.000 Beduinen innerhalb der nächsten Jahre vor, um für weitere Waldanlagen und jüdische Siedlungen Platz zu schaffen. Zum Teil ist der Plan schon umgesetzt worden. Allein im Jahre 2011 sind laut Adalah, einer Vereinigung israelisch-palästinensischer Rechtsanwälte, mehr als 1000 beduinische Wohnstätten zerstört worden. In einer am 5.7.2012 von der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten vorgebrachten Resolution verurteilt das Europäische Parlament die Zerstörungen und Zwangsumsiedlung und fordert eine Rücknahme des Prawer-Plans.iii
Im Gebiet des nördlichen Negev liegt auch der “Wald der deutschen Länder”. Die Initiative zu den Baumpflanzungen ging zu Beginn der neunziger Jahre von dem damaligen Ministerpräsidenten NRWs und späterem Bundespräsidenten Johannes Rau aus. Sie fand seitdem viele Unterstützer aus dem politisch-öffentlichen und privaten Bereich und wächst immer weiter an. Ein Erholungspark in einem kargen Gebiet sei eine schöne Sache für alle Israelis und Spenden für Bäume ein ideales Geschenk für viele Anlässe, dachte man. So dachten auch die Vorstandsvertreter der SPD, die im November 2012 zu einer Baumspendenaktion aufriefen. Dr. Awad Abu Freih, dessen Vorfahren auf diesem Land gelebt haben, sieht das anders. In einem unter „youtube“ veröffentlichten Videofilm erklärt er, “Ich bin sicher, wenn meine Freunde in Deutschland wüssten, dass sie mich von diesem Ort verbannen, indem sie die historische Erinnerung an mich und meine Familie auslöschen, dann würden sie dem nicht zustimmen; wenn sie um die historische Wahrheit wüssten, dann wären sie nicht so schnell bereit für einen Wald zu spenden, der die Geschichte und Erinnerung an mich und meine Familie auslöscht und stattdessen eine neue Geschichte gestaltet.”
Eine neue Geschichte hat an vielen Orten der über 500 zerstörten palästinensischen Dörfer Gestalt angenommen. Einer der größten Parks, der sogenannte “Canada-Park”, errichtet vom Jüdischen Nationalfonds über den Ruinen der Dörfer Imwas, Yalu und Bejt Nuba, ist kein Einzelfall. In vielen Park- und Waldanlagen bedecken schnellwachsende Koniferen und schöne Freizeiteinrichtungen planierte palästinensische Häuser, Obst- und Olivenhaine, fruchtbare Weizenfelder. Hinter dem „ökologischen Motiv“, das der JNF für seine Projekte vorgibt, stecke ein weiteres Bemühen, „die Naqba zu negieren und die enorme Größe der palästinensischen Tragödie zu verbergen“, schreibt der israelische Historiker Ilan Pappe (Die ethnische Säuberung Palästinas). Kenntnisse über die „Naqba“ ('Katastrophe' [Flucht und Vertreibung der Palästinenser aus dem ehemaligen britischen Mandatsgebiet])sieht die israelische Organisation “Zochrot” ('Erinnerung') als Voraussetzung für Frieden und Versöhnung an. Mit Dokumentationen, Führungen, Aufstellen von Hinweisschildern an ehemaligen palästinensischen Orten versuchen Mitglieder von Zochrot, die Erinnerung wach zu halten und zu stärken.
Zum jüdischen „Neujahrsfest der Bäume“ am 26.1. dieses Jahres schreibt die in Kalifornien beheimatete und weltweit agierende Organisation „Jewish Voice for Peace“, „Während wir die hohe Aufmerksamkeit würdigen, die unsere Tradition für Bäume pflegt, können wir die Fakten nicht ignorieren: Tausende und Abertausende von Bäumen, die palästinensischen Familien gehörten, wurden entwurzelt, um Platz zu schaffen für noch mehr jüdische Siedlungen, und viele palästinensische Familien, und sogar ganze Dörfer sind zwangsumgesiedelt worden, um den 'Grünen' Projekten des Jüdischen Nationalfonds Raum zu geben.“
Mitglieder der SPD reagierten mit Unverständnis und Verbitterung über den Spendenaufruf an den Jüdischen Nationalfonds. Langjährige Mitglieder, die prinzipiell Baumspenden für Israel begrüßen, fragen: "muss es ausgerechnet der Jüdischen Nationalfonds sein? Warum nicht Zochrot, oder die 'Rabbiner für Menschenrechte' oder die vielen anderen Friedens- und Menschenrechtsorganisationen, die es in Israel gibt?” Die Sozialdemokratische Partei wird sich gut über Wege der Unterstützung Israels beraten müssen, damit sie ihrem Prinzip der “sozialen Gerechtigkeit” treu bleibt und der Ruf nicht etwa laut wird, “Say Goodbye to the SPD”.
ihttp://www.kkl.org.il/eng/about-kkl-jnf/kkl-jnf-id/jewish-people-land/
iihttp://bedouinjewishjustice.blogspot.de/2010/10/open-letter-to-jewish-national-fund.html