Dünen
Durch und über
deine Dünen
- samten, nicht Sand -
wandern
mit den Fingern
mit den Sinnen
Im Süden den Brunnen
wissen und ahnen
was es heißt:
Milch und Honig fließen
Wäre ich jetzt Wüstling
wäre ich Kamel
und du würdest womöglich
zur Fata Morgana
© Jürgen Völkert-Marten
Jenseits des Ufers
Jenseits des Leuchtturms dessen Licht
nie in Versuchung gerät zu berühren das Meer
Haus der Nacht weder fertiggestellt noch in Angriff genommen
riesig wie ein verirrtes Weib
im Spektakel der Hieroglyphen ohne Bühnenbild
erscheinen
als Lesart
Spinnengewebe
Striche von Kreide und anderen
Lichtern
wo Nachforschungen von Mathematikern
versehen mit der Gabe Erscheinungen auf den Grund zu gehen
Schatten von Fußspuren ergeben
die von der gierigen Flut aufgesogen werden wie ein nasser Hund
gleich den sich aufopfernden Eisbergen
die den Äquator erreichen
um zu stillen den Durst der Bäume ohne Erde unter den Sohlen
mit verbrannten Blättern und Ästen
die sich danach sehnen Früchte zu tragen
jenseits des Ufers
spannt der Zweifel
frei in der Kunst dem Leben verpflichtet
in die Schreibmaschine das Gedicht
das langsam erlischt
wie die auf klein gedrehte Lampe
Der Schmerz
Das Spiel wird jeden Tag interessanter
gestern habe ich mir aus der Gummitapete des Gästezimmers ein Hemd zugeschnitten
durch die Wunde einer der Wände schaue ich in den Bauch der Nacht
ein Steintisch zeigt sich meinen Blicken
auf dem der schwangere Tod das Urteil des Arztes erwartet
es wird tatsächlich ein Prachtkerl scheint der zu sagen
während er auf den stumpfen Gegenstand achtet den das Ungeborene
ihm ins runzlige Ohr des Stethoskops zu rammen versucht
Die Angst
es kommt die Nacht mit der Angst im Nacken/ lässt sie herumtollen/
ich weiß nicht wieso aber stets landet sie bei mir
meine Knie werden eisig sie beginnt mir die Hand zu lecken
die Schnürsenkel aufzuschnüren macht Männchen
bringt mir die Zeitung die Brille zwängt sich unter mich
auf mich neben mich in mich beschnuppert mich umklammert
meinen Knöchel
ICH VERGESSE
was mir gestern passiert ist vorgestern vor einer Woche vor einem Monat vor einem Jahr (liebkose ich sie?)
GUT SO sage ich mir und bin geradezu glücklich
ein Trostpflaster ein Wärmepflaster
und alles was man sonst noch in einer solchen Lage braucht
wärmt mir den Rücken
gleich werden mir auch die Wangen brennen obwohl der Tollpatsch
nicht dazu gekommen ist sie mir zu lecken
/der Tollpatsch ist nicht mehr da ist spurlos verschwunden/
ausgerechnet jetzt da der Schaffner erscheint (mit dem Frühzug?)
um die Fahrscheine zu kontrollieren
MEIN GOTT
der hat was im Busen versteckt
WAS KÖNNTE ES DIESMAL SEIN
dass es auch stets bei mir landet
Grammofon
gesprungene Platten ohne Etiketten
ein chaotischer Tanz aus den Kulissen
nicht im Entferntesten im Einklang mit der Tourenzahl
des müden Grammofons in Gesellschaft des Ventilators
der schamlos Staub auf die Bühne wirbelt
über die Musik tauschen sie sich nicht aus
und stören die bereits an Silikose erkrankten Souffleure
von den Blumen schon gar nicht zu reden
die sich allmählich in Kakteen verwandeln
und die Künstler stechen
mit sicheren Gesten im milden Scheinwerferlicht
nehmen sie Abend für Abend die Zuschauer mit
führen sie wie gewissenhafte Reiseführer
durch das alte Museum für singende Spielzeuge
mit zylindrischen Hälsen Trichtern
so groß wie Elefantenohren
und Platten schmale fliegende Untertassen
bereit jedwede Agression abzuwenden
seitens der jungfräulichen Nadeln
gewachsen auf allen Armen der Kraken
in Besitz von Eintrittskarten für Ausflügler
allein geblieben nach der Vorstellung
streichelt er seine Urne mit dem Vogel Phoenix
im Herzen aufbewahrt seit stürmische Zeiten angebrochen sind
und rezitiert ohne Lampenfieber Shakespeare
im alten Frack
glücklich über das noch Unerfüllte
Aus: Traian Pop Traian, Absolute Macht. Gedichte Rumänisch/ Deutsch. © Pop Verlag
Das große Geheimnis
Flammender als die Lichtgesänge
Zoroasters -
Tiefer als das Schweigen
des Thomas von Aquin -
Meine Tochter flüstert
es meinem Halbschlaf ins Ohr
die Hände zur Muschel gepreßt
ihr Haar eine elektrische Aura
die mich umlodert
ich verstehe kein Wort
während ihr Atem
auf mein Trommelfell
winzige
goldene
Stecknadeln
rieselt
Ganz Ohr
Gott - ich spreche mein Gebet
in dein anderes Ohr -
Nicht in das gewaltige Buddha-Ohr
das herabtropft
als müde Unendlichkeitsschleife -
sondern in dein winziges
bebendes Heuschreckenohr
das alles zugleich hören muß -
die Schreie der Massaker
an der Elfenbeinküste
und im selben Augenblick
das sanfte mystische Knistern
wenn Rafaela sich
das Haar ausbürstet -
Gott - ich weiß
daß du in Wahrheit
nur dieses eine Ohr hast
und daß jedes Gebet
zu groß dafür ist -
ich knie nieder
um in dein winziges
Heuschreckenohr zu lauschen -
und mein gischtender
tosender Herzschlag
wird von deinem
unendlichen Lauschen
erhört
Morgen
Auch die Spitze
des Schlachtmessers
gleißt und preist
mit allen tanzenden
Atomen das
Licht
Nackt
Ich habe im Dunkeln
dein drittes Schulterblatt ertastet -
Ich habe das Muttermal entdeckt
tief in deinem Gaumen:
die blutrote Hostie -
Ich weiß jetzt: dein kleiner Fingerknöchel
ist ein venezianischer Giftring
ich habe ihn leergesogen
doch ohne zu sterben -
Ich habe das Knistern deiner Seele gehört
als sie sich im Morgengrauen
über den schlafenden Körper erhob
und in den Türspalt trat
fröstelnd -
Jetzt - erwach!
Enthüll mir das tiefste
Mysterium:
dein allererstes
blindgeborenes
Gesicht -
© Gedichte: Allitera Verlag www.allitera.de
Die Irrfahrt im Zyklon. Eine kollektive Autobiographie in 50 Zyklonen,
erschienen 1983 im Verlag Lambert Schneider, mit 19 Linoldrucken von Rudolf Scharpf. Nach der Auflösung des Verlags ist dem Werk eine Neuerscheinung zu wünschen. Im Folgenden zwei Auszüge:
(1) ANRUF
Weltinsel
weltallfern
hundert Zyklone ließ ich dir wachsen
Nord-West-West und Ost-West-Süd und Süd-West-Nord
Nabelschnüre den Freien
ungebunden zu tosen
und doch verankert in meinem Wollen.
Weh wenn der Wirbel erwacht
wenn das All aufzuckt
und langsam die Augen hebt
zum Überall.
Denn ich Bin überall
wirbelentbundener Staub
kosmisches Urlicht
in der Leere erträumt und umschwiegen.
Und so will ich
mit meinen Zyklonen
Irrsal und Wirbel dir senden,
daß dir die Nacht graut
und der Tag dir die Schläfen bleicht.
Überall heiß ich
Nirgends bin ich
Niemand ward ich gerufen
schon als Kyklop
von Odysseus verspottet.
Atemlos ist mein Wort
Namenlos rufe ich
Sprachlos bleibe ich.
Nicht gekommen
dir die Augen mit sanftem Frieden
zu fächeln
sondern mit heißen Tränen
ein maßloses Maß
dir nie zu erschöpfen.
(VII) NACHTS, AUFGEWACHT IM DRITTEN REICH
Immer noch ausgereckt stehst du, Poseidon
in's Athener Museum den Speer zu werfen.
Immer noch saust dein Speer dahin
wie der Achill des Zenon
der auf unendlich geteilter Gerade
die Schildkröte nie überholt
niemals sein Ziel sich errafft
so schwirrt dein ruhender Speer dahin
alle Ziele sich spießend. Alle tödlich erhaschend.
Unbewegt läßt er die Lüfte erklirren
hör ich die Schwellen zittern und beben
hör ich die Züge rattern und rollen
nachts aufgeschreckt treibt sie dein Speer dahin.
Ostwärts und westwärts
lausch ich dem Braus, dem Rattern, dem Rollen.
Züge, ja Züge mit lebenden Landsern
mit Flak, Pak und mehr Munition
Züge mit lebenden Juden, mit lebenden Polen
zu Kisten nächtlich das Grauen verpackt.
Niemals die Feldpostnummer erreicht.
Wer treibt sie hin, wer treibt sie zurück,
wer treibt in die Massen den Schritt hinein?
Im Gleichschritt Division, Legion, Regiment
aus Gleichschritt geboren, im Gleichschritt verascht
im Gleichschritt der Weltgeist
den Goethe sah.
(Beritten, es war Napoleon)
Wer trieb dich, Rom, aus der hölzernen Mauer
im Sprung schon getötet von Romulus
zerschellter Remus, Wolfsmilchgelabter,
Wer trieb aus der Mauer nach Afrika dich
zum Tigris, von Spanien bis Schottland hinauf?
Was saust der Speer, wen trümmert der Strahl
wer zählt das Stückgut "lebendes Fleisch"?
Wer zählt die im Gleichschritt zerfetzten Landser
wer zählt in Auschwitz Haare und Gold?
Umnachteter Blitz. Du trafst mich, Speer
durch mich hindurch zerbrach mir das Herz.
Leer ist mein Blut, die Zyklone verraucht
Welt, ja Welten vernichtender Ger
reißt dich der rasende Blitz - ja wohin?
Weiß nicht wohin, warum und wozu
trifft Henker und Opfer in Plötzensee
trifft Cäsar und Brutus und Kennedy
wirbelentstanden, wirbelvergangen
stehst du und schleuerst noch immer den Speer:
Glücklich, ach, ist allein das Vergessen,
alles Erinnern ist Leid.-
Tot überlebte ich das dritte Reich.
Der kalte Winter 1942.
Nach Potsdam auf der Havel radelnd
Großmutter zu besuchen, brach ich ein.
Ich brach von Scholle mich zu Scholle
brach ab, brach ein - und faßte endlich Grund.
Das war und ist mein Leben.
Nur Ufer seh ich nicht.
Die Potsdamer Chaussee. Befehl von oben:
Gefrornen Asphalt auszuhacken. Wir Schüler kratzten
Eisstücke hin und her.
Aus dünnem Handschuh bläst der Lehrer Hauch.
Französischunterrichtender. Erschossen 45.
Kartoffeln hamsternd, schnappten ihn die Russen: "aus Versehen".
Die Kinder mit dem gelben Stern gehn zur Fabrik.
Und eines Tages kommen sie nicht mehr.
Papa, Mama und ich am BBC. Noch läßt das Ende
auf sich warten.
"Sie Judenmischling schreiben meiner Tochter Liebesbriefe?"
Wozu? Wozu?
Ja, laufe, renne, springe, mache was du kannst
los, auf dein Rad, sonst brichst du ein für immer.
Die Amis nehmen dich zum Ziel
die Splitter fallen rechts und links
Befreier schießen nicht mit Regenschirmen!
Wozu? Wozu? Wozu der Speer?
Ja, wirf ihn weg!
Ich will die Züge nicht mehr hören
nachts aufgeschreckt: Jetzt bist du dran,
Hör auf! Wirf weg! Laß mich in Ruh!
Ja, bist du denn ein Mörder dort im Himmel?
dann sage zur Geschichte endlich: Schluss!
Der Schwan
Diese Mühsal, durch noch Ungetanes
schwer und wie gebunden hinzugehn,
gleicht dem ungeschaffnen Gang des Schwanes.
Und das Sterben, dieses Nichtmehrfassen
jenes Grunds, auf dem wir täglich stehn,
seinem ängstlichen Sich-Niederlassen - :
in die Wasser, die ihn sanft empfangen
und die sich, wie glücklich und vergangen,
unter ihm zurückziehn, Flut um Flut;
während er unendlich still und sicher
immer mündiger und königlicher
und gelassener zu ziehn geruht.
Die Gazelle
Verzauberte: wie kann der Einklang zweier
erwählter Worte je den Reim erreichen,
der in dir kommt und geht, wie auf ein Zeichen.
Aus deiner Stirne steigen Laub und Leier,
und alles Deine geht schon im Vergleich
durch Liebeslieder, deren Worte, weich
wie Rosenblätter, dem, der nicht mehr liest,
sich auf die Augen legen, die er schließt:
um dich zu sehen: hingetragen, als
wäre mit Sprüngen jeder Lauf geladen
und schüsse nur nicht ab, solang der Hals
das Haupt ins Horchen hält: wie wenn beim Baden
im Wald die Badende sich unterbricht:
den Waldsee im gewendeten Gesicht.
Liebes-Leid
Wie soll ich meine Seele halten, daß
sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie
hinheben über dich zu andern Dingen?
Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkel unterbringen
an einer fremden stillen Stelle, die
nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen.
Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Geiger hat uns in der Hand?
O süßes Lied.